Erfahrungsgemäß leidet im Frühjahr bei vielen Motorradfahrern nach monatelanger Abstinenz die Vertrautheit mit der Maschine, und es fehle die erforderliche Fitness, urteilen die Allianz-Experten. Mit dem Saisonstart steige zudem das Verkehrsaufkommen in den Freizeitregionen allgemein und damit die Unfallgefahr. Auf die Wintermonate Dezember 2020 bis Februar 2021 entfielen fünf Prozent (24) der getöteten und sechs Prozent (442) der schwer verletzten Motorradfahrer der zwölf Monate Dezember 2020 bis November 2021 (472 Getötete, 7870 Schwerverletzte). In den Frühjahrsmonaten März bis Mai 2021 sprang der Anteil auf je 25 Prozent (116 Getötete, 1950 Schwerverletzte).
„Mit 52 Prozent aller getöteten Zweiradfahrer bleiben Motorradfahrer die Sorgenkinder des Zweiradverkehrs“, so die Studie. Zur Opferbilanz tragen überdurchschnittlich viele Alleinunfälle bei. 35 Prozent der Motorradunfälle mit Personenschaden ereignen sich laut AZT-Studie ohne Beteiligung eines Dritten. In 56 Prozent ist der Motorradfahrer Hauptverursacher. 44 Prozent (517) aller Getöteten bei Motorradunfällen (Fahrer, Mitfahrer, Dritte) begründeten sich 2020 dadurch, dass die Motorradfahrenden die Kontrolle über ihr Fahrzeug ohne Zutun anderer Verkehrsteilnehmer verloren (sog. Fahrunfälle), oft durch nicht angepasste Geschwindigkeit.
Die Analyse zeigt, dass die Motorräder nur zu einem Drittel mit ABS ausgestattet waren. 13 Prozent der leichten und zehn Prozent der schweren Krafträder hatten eine Kombinationsbremse. Ein kurventaugliches ABS war in knapp sechs Prozent der verunfallten Motorräder verbaut. Die Schlussfolgerung der Studienverfasser Dr. Jörg Kubitzki, Unfallforscher im AZT, und Oliver Braxmeier von der Hochschule Coburg: „Diese Gefahren könnten durch Antiblockiersysteme gemindert werden.“
Das Durchschnittsalter der untersuchten Maschinen betrug über zwölf, das der Zweiräder ohne ABS über 20 Jahre. Seit 2017 ist ABS für neu zugelassene Motorräder Vorschrift, für Zweiräder bis 125 Kubik wahlweise eine Kombinationsbremse. „Unsere Schadendaten zeigen, dass die verunfallten Motorräder im Schnitt deutlich älter sind als Pkw“, so Christoph Lauterwasser, Leiter des AZT. „Die überwiegende Nutzung der Motorräder als Freizeit- und Sportgerät bewirkt, dass die Fahrzeuge noch immer viel zu selten mit modernen Bremssystemen oder Assistenzfunktionen wie Schlupf- oder Abstandskontrolle ausgestattet sind.“
Motorradunfälle haben jedoch nicht nur auf Landstraßen und Autobahnen bei hoher Geschwindigkeit gravierenden Folgen. Nach der Allianz-Schadenanalyse ereigneten sich mit 59 Prozent die meisten Unfälle innerorts, typisch waren Front-Heck-Kollisionen (Auffahrunfälle). 44 Prozent der Verunglückten (Fahrer, Mitfahrer, Dritte) entfielen auf die Ortslage innerorts, darunter jeder dritte Schwerverletzte.
Sorge bereitet dem AZT die Verletzungsschwere der Biker. 2021 betrug laut Bundesstatistik der Anteil der Schwerverletzten an allen Verunglückten (getötet, schwerverletzt, leicht verletzt) 33 Prozent. Bei Krafträdern mit Versicherungskennzeichen und bei Fahrrädern waren es je 18 Prozent. „Unsere Studie zeigt, dass die Schwerverletztenrate der Motorradfahrer seit 20 Jahren steigt, bei allen anderen Verkehrsteilnehmern sinkt sie. Die Ursachen hierfür bedürfen der näheren Untersuchung“, sagt Unfallforscher Jörg Kubitzki.